Ottokar von Kraft                  Doppelschicksal

 

Wie kommt es, daß der Künstler, das Genie

Oft Ekel fühlt, Qual, Überdruß am Leben,

Der auf der Wonnen höchsten Höhn zu schweben

Doch sonst vermag, wie ein Gering’rer nie.

 

Ich deut’ es so: gewalt’ger Phantasie

Kann Großes Inhalt nur und Nahrung geben,

Und wo dies fehlt, dort bleibt sie elend eben,

Leer, ungestillt, öd, nicht sie selbst ist sie.

 

Den Kleinen füllt die nichtig kleinste weile

Schon völlig aus, und nirgends fehlts dem Laffen,

Wo dem Genie nur leere Räume klaffen.

 

Dem Künstler taugt die große nur zum Heile;

In ihrem Äther schwillt er an zum Gotte,

Doch in der kleinen schrumpft er ein zur Motte.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Liebesphasen

 

Als ich ein Kind noch war mit runden Wangen,

Da liebt’ ich jeglich Schönes um mich her,

Ein jedes schöne Bild ward mein Begehr,

Ein jedes Blümchen, das ich konnt’ erlangen.

 

Doch in des Knabenalters reif’rem Prangen

Genügte Einzelschönes mir nicht mehr,

Und ich erheckt’ ein Mädchen rein und hehr,

Das alle Schönheit hielt’ vereint umfangen.

 

Dem Jüngling ist der Künstlertraum zerscheitert,

Als Luftgebild erkannt’ ich jene Schöne,

Mein Lieben hat zur Dichtung sich erweitert.

 

Die Welt der Griechen ist mir aufgegangen,

Und wieder liebt’ ich Blumen, Bilder, Töne,

Jedwede Schönheit haltend liebumfangen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Im Frühlingsgarten

 

Ich weiß mir nicht erhab’neres Entzücken,

Als wenn die Bäume rings in blüte stehn,

Im Frühlingsgarten auf und ab zu gehn

Und schöne Menschenkinder anzublicken.

 

Unmöglich ist’s, mit Worten auszudrücken,

was mich ergreift bei also reinem Sehn,

Und nur der Künstler kann mich ganz verstehn,

Der selbst empfindet solches Weltentrücken.

 

In solchen Stunden hehrster Herzenslust

Erkenn’ ich ganz dem Erdstaub mich entronnen,

Bin ich der höhern Heimat mir bewußt.

 

In Rauschmomenten solcher Geisteswonnen

Fühl’ ich den Dichter tief in meiner Brust,

Und hätt’ ich nie den kleinsten Vers ersonnen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Des Künstlers Treue

 

Dem Liebe Schönheit ist und Schönheit Liebe,

Vom Künstler nicht erwarte du die Treue;

Ihn lockt die Liebe fort und fort aufs neue,

Wie Schönheit sproßt aus stets erneutem Triebe.

 

Gib auf die Hoffnung, daß er dein stets bliebe,

Daß seine Lieb’ nur einzig dich erfreue;

Denn du erkennst am Ende sonst mit Reue,

Daß hehrste Lieb’ am schnellsten oft zerstiebe.

 

Ganz anders ist die Treu’, die er empfindet,

Sie gilt der Schönheit ew’ger Strahlenhelle,

Wann und wo immer er sie haftend findet.

 

Er liebt die Sonne bloß, des Lichtes Quelle,

Sie selbst, ihr Lichtstrahl ist es, was ihn bindet,

Doch nicht die wechselnd lichtbeglänzte Stelle.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Letzter Wille

 

In Blumen prang’ ein lichter Leichenwagen,

Den holde Mädchen rechts und links begleiten,

Und schöne Knaben mögen rückwärts schreiten,

Weinlaub im Haar und Festgewänder tragen.

 

Nicht eine Lippe tu’ sich auf zum Klagen,

Nein, Jubelhymnen sollt ihr mir bereiten,

Und triumphierend hall’s in alle Weiten:

Ihm galt der Tod kein letztes Ich-Entsagen!

 

Das ist die Weise, die ich ausbedungen,

Wie ihr dereinst mich sollt zu Grabe tragen,

Wann meiner Leier Hochgesang verklungen:

 

Wofern es dann der Kirche sollt’ behagen,

Mir, weil ich Licht und Liebe stets gesungen,

Ein christliches Begräbnis zu versagen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Die höchste Kunst

 

Die Dichtkunst heiß’ ich von den Künsten allen

Die weit umfassendste und sonder Schranken,

Denn unermeßlich ist sie, gleich Gedanken,

Sie kann den fernsten treulich widerhallen.

 

Als dauerndster auch soll ihr Lob erschallen,

Der wir des Geistes ält’ste Schätze danken,

Die, wenn die Sänger längst im Staub versanken,

jahrtausendlang noch leben unzerfallen.

 

Allein die höchste ist die Kunst der Töne,

Denn nie und nimmer kann die Sprache sagen,

Was jene offenbart von ew’ger Schöne.

 

In Sphären, hin mich Wagner oft enttragen,

Trägt mich kein Shakespeare, wie ihn Ruhm auch kröne,

Ja selbst die Trias nicht aus Hellas Tagen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Mein Höchstes

 

Ich sag’ es stets: Das wunderhehrst Genießen

Erfließt mir aus der heil’gen Macht der Töne;

Doch dann vermag der Reiz der Menschensöhne

Das Paradies zunächst mir aufzuschließen.

 

Doch was zu aller höchst mir kann entsprießen,

Daß jed’ und alles Glück der Welt mir’s kröne,

ist, wenn Musik und Rausch vor Menschenschöne

Mit eins in einen Hochakkord verfließen.

 

Mein Blick war nie von Schönheit so geblendet,

Mein Ohr noch nie so im Genuß verschwendet,

Mein Wesen nie so hehr in sich vollendet:

 

Als wenn ich bei dem Engelsklang der Laute

Im Frühlingsgarten, wann der Himmel blaute,

In ein verklärtes Menschenantlitz schaute

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Das Höchste zwischen Grab und Wiege

 

ich konnt’ mich nie zu jenen Dichtern neigen,

Die stets in Leid nur sich ergehn und Klagen,

Die an der Welt, an Gott, an sich verzagen

Und deren höchstes Ziel: das letzte Schweigen.

 

Sie gleichen Priestern, die auf Kanzeln steigen,

Dem Volke Gottesleugnung vorzutragen,

Heerführern, die, statt selbst hervorzuragen

Durch  Tapferkeit, sich weich und weibisch zeigen.

 

Wer lehrt uns, wenn nicht Priester, Gottvertrauen?

Wer, wenn die Führer nicht, den Mut im Kriege?

Wer, wenn nicht Dichter, Ideale bauen?

 

Und die all einzig führ’n allhier zum Ziele!

mit Künstlerblick ins Weltenmärchen schauen:

Das Letzt’ und Höchste zwischen Grab und Wiege!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Ewige Kindheit

 

Was gibt den Kindern jenes heitre Wesen,

Das „Ja!“ nur jauchzt und frei ist von Verneinung?

Was von Genie und Einfalt diese Einung,

Dran jede böse Regung muß genesen?

 

Es ist die Neuheit jeder Seinserscheinung,

Die Schritt für Schritt im Lebensbuch sie sesen;

Für sie ist alles neu, ist nie gewesen

Und regt als neu sie an – nach ihrer Meinung.

 

Drum, willst du trotzen jedes Alters Launen,

Laß jene Lehre dir zur Richtschnur taugen,

Die unbewußt dir Kindesblicke raunen:

 

Nur wer mit großen off’nen Kindesaugen

Ins hehre Weltgedicht versteht zu staunen,

Wird neues Glück aus jeder Strophe saugen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Glaube im Zweifel

 

ich glaub’ nicht immer die Unsterblichkeit,

Bin stets und bleibend nicht von ihr durchdrungen,

Oft hab’ ich selbst das Lied mir vorgesungen,

Das sonst mir fremde, von Vergänglichkeit.

 

Doch stets in Lust, Verzückung, Seligkeit

Hab’ ich zu ihren Höhn mich aufgeschwungen,

In Feierstunden hielt ich stets umschlungen

In meinem Glück ein Stück der Ewigkeit.

 

Zwei Stimmen also. Welcher schenk’ ich Glauben?

Lass’ die des hehrsten Aufschwungs sich ersticken

In Werktags Mißgetön’, dem kalten, tauben?

 

Nein! Was die Götter in Ekstase schicken,

Kann kein Jahrzehnt in Nüchternheit uns rauben,

Und Wahrheit spricht aus höchsten Augenblicken.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Höhen des Menschenwesens

 

Habt ihr in Lebens, Menschheits Buch gelesen,

Sagt an, worin der beiden Göttlichkeit?

Wo trefen Zeit sich und Unendlichkeit?

Wo wunken höchste Höhn dem Menschenwesen?

 

Ist es zum innern Frieden das Genesen?

Ist’s jahrlang währende Zufriedenheit?

Sinds Werke, überliefert fernster Zeit?

Der Ähen Summ’, im Leben aufgelesen?

 

Nein! In Ekstasen, Räuschen, dionysisch,

Genies erfliegbar, ewig fremd Philistern,

Seh’ ich der Menschheit Edens Früchte reifen.

 

Das ist vielleicht der Pol, wo metaphysisch

Zwei Daseinsweisen freundlich sich verschwistern,

Geheimnishehr zwei Welten übergreifen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Was uns fehlt

 

Uns fehlt nicht geist, auch ernstes Streben nicht,

Noch Mut, noch guter Wille, uns Modernen;

Vom Klein und Großen, Nahen gleichwie Fernen

Lernt ja das Baby heut’, sobald’s nur spricht.

 

Was andres, Größ’res ist’s, woran’s gebricht;

Uns fehlt der große Aufblick zu den Sternen!

Wir lernen, lernen nur, und was wir lernen,

Zuletzt statt Flügelschlags ist’s Bleigewicht.

 

Wir sind nicht wir, wir sind nur, was wir wissen,

Nicht was wir fühlen, was wir tiefst erleben;

Sind von uns selbst, vom Leben losgerissen.

 

Uns fehlt Entrücktheit in das Weltenweben!

Fehlt jener Stand, der all die Weisheit missen

Und doch der Welt kann einen Christus geben.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Erklärung

                                                                              An Dr. B. Fuchs

 

„Aus dir spricht heute noch das große Kind;

Vom Leben lern’, ein Mann, ein ganzer, werde!“

So riefst du mir mit freundlicher Gebärde,

In Rat und Tat als Freund mir wohlgesinnt.

 

Wohl, du hast recht! Im Weltlauf nur gewinnt,

Wer festen Fußes stampft die harte Erde,

Doch Kummer trifft und Drangsal und Beschwerde

Das große Kind, das nur die Blumen minnt.

 

Und dennoch fleh’ ich, in dess’ Unterschreiben,

Mich blutig fort am rauhen Alltag schürfend:

O laß dein Kind, Natur, mich ewig bleiben!

 

Laß mich, der Männerreife nie bedürfend,

Am Schoß dir sitzen, fern des Tages Treiben,

Nur deine Mär’ mit trunkner Seele schlürfend!

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Nur Meister sein!

 

Nicht schelt ich mehr mein Los, das nicht ins Leben,

Wie einst Petrarka, Goethen oder Dante,

Mir Laura, Gretchen, Beatrice sandte,

Mich zu begeistern, mich zum Ruhm zu heben.

 

Ich weiß: den Grund zu ew’gen Liedern geben

Konnt’ keins der holden Trias, die ich nannte;

Das Feuer tat’s, das in den Dichtern brannte,

Doch jene waren – nichts als Frauen eben.

 

Und Gretchen machte Goethen nicht unsterblich,

Er sie, und Laura der Sonette Meister;

Ein solches Los ist jeder hier erwerblich.

 

Nur Meister sein! Da liegt’s vor allen Dingen!

Du kannst, gehst selbst du unter jene Geister,

Ein jedes Weib zur Beatrice singen.